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EVA & ADELE: Die erste Ausstellung

Ulrich Krempel
 
Von heute aus scheint es eigentlich unglaublich, wie lange alles dauerte: wie andere Menschen in der Kunstszene, die zu den großen Ausstellungen fahren und den wichtigen Kunstmessen, kannte ich EVA & ADELE seit Jahren vom Sehen, von der documenta, aus Basel und anderswo. Und für einige Zeit liefen wir immer mal aneinander vorbei. Aber im Ruhrgebiet, woher ich stamme, erkennt man sich nach zwei Begegnungen nicht nur wieder und nickt sich zu, sondern man fragt auch mal: „Wie geht’s?“ Standardantwort dazu: “Und selbst?“ Und dann, vielleicht beim nächsten Treffen, fängt man schon anders an zu reden, fragt auch mal nach dem Woher und Wohin. EVA & ADELE, freundlich, wie sie immer waren, luden mit ihrem Lächeln und ihrer Aufmerksamkeit, ihrem Wiedererkennen dazu ein, auf sie zuzugehen und mehr zu sagen und zu fragen, als nur das Übliche…So begann es dann irgendwie.
Adele erinnert sich da besser als ich: es war in Basel, dass wir miteinander im VIP-Bereich der Messe miteinander zu reden begannen. Es muss in der Mitte der 1990er Jahre gewesen sein. Ich kannte die beiden in immer wechselnden, glanzvollen Erscheinungen, mit rasierten Köpfen in wechselnden Kostümen, mit immer unterschiedlichem elegantem Schuhwerk, mit oder ohne Flügel und diesem immer insistenten, unwiderstehlichen Lächeln, als Doppelbild und künstliches Zwillingspaar. Im Gespräch dann die Botschaft:“We are coming out of the future. Futuring!“ Die Grenzen wurden schnell deutlich, die die beiden bei ihrer künstlerischen Zeitreise immer wieder, legal oder illegal überquerten: die des Üblichen, der Festlegungen, des Erwarteten, der Grenzen der Geschlechter. Das, was sie dachten und präsentierten, lebten sie, mit nicht versagender Energie, inmitten dieses an Hype und Umsatz interessierten Gestrudels von Galeristen, Sammlern, Kuratoren.
Eine solche Ehrlichkeit und riskante Setzung, mitten im Wolfsrevier! Das kommunikative Zugehen auf alle, die da um sie herum waren. Ihr Erscheinen verstieß gegen die Konventionen des gepflegten bürgerlichen Rahmens unserer Kunstereignisse, und gerade deshalb traten EVA & ADELE hier auf,  in der stillen und feierlichen Atmosphäre von Museum und Kunstverein, Kunsthalle und Galerie, bei Messen, Führungen, Rundgängen und Vernissagen. Das war eine radikale künstlerische Setzung, radikaler als alle akademischen Aufrührereien in den Kojen der Kunsthändler. Also Performance? Agitationstheater? Oder die himmlische Auflösung der Gewaltglatzen der Skinheads in eine gewaltlose, perfekt gestylte, artifizielle Paraphrase? Verbindung von Marilyn Monroe und Cyborg, Ballerinas und Robocops, Kunstwesen und Echtzeitfreaks?
Als wir 1997 in Hannover die erste Ausstellung der beiden, CUM, realisierten, schreib ich im Katalog: “EVA & ADELE sind keine schlichte theatralische Setzung wie der Travestietänzer, der sich abschminkt, die Perücke ablegt und zu Hause in die Pantoffeln schlüpft; EVA & ADELE sind permanent, wirklich vorhanden, sind künstlerische Setzung, Kunstprodukt und doch Bestandteil unseres täglichen Lebens in der und um die Kunst herum. Alle Schritte in die Öffentlichkeit sind Schritte, die beide zusammen als EVA & ADELE tun. Davon redet diese Ausstellung, die vergegenwärtigt, dass beide immer zusammen da sind, und dass es kein Leben nach dem von EVA & ADELE gibt. EVA & ADELE ist ein Kunstgriff, der weit über den bewohnten Kunstbegriff hinausgreift: kein Feierabend wird sichtbar, an dem die Setzung EVA & ADELE endet, kein anderes Leben neben dem sichtbaren, keine Bedeutung, die sich in symbolischer Aktion erschöpft, um der Ruhe und Kontemplation im bürgerlichen Normalzustand zu weichen, wenn die Veranstaltung beendet ist.“
Und das war zuvor geschehen: irgendwann in unserem Gespräch in Basel stellte ich eine einfache Frage. „Und was macht Ihr sonst? Gibt es andere künstlerische Produktion?“  Die beiden verrieten nichts, versprachen aber einen Besuch in Hannover mit ihrem Camper. Da würden sie dann ihren Werkkomplex zu CUM präsentieren.,
Schließlich lagen auf den Tischen des Museums großformatige Zeichnungen, ausgeführt in Eisengallustinte auf kostbaren Papieren; Zeichnungen nach Fotografien, die EVA & ADELE mit Menschen zeigten, die sie bei dem jeweiligen Treffen fotografierten und die ihnen die Fotos – auf Bitten der Künstlerinnen – anschließend zugeschickt hatten. Ein großes Kompendium von Situationen des Miteinander lag da vor uns, festgehaltene Ergebnisse derKommunikation von EVA & ADELE mit anderen Menschen. CUM – lateinisch MIT – stand als Titel für den gemeinsamen Prozeß, das Miteinander der Begegnung. Auf jeder der Zeichnungen fanden sich, gestempelt und notiert, Verweise auf die Autoren der Fotografien, den Ort der Entstehung und den Absenderort der Fotografien, die zur Vorlage für die Zeichnungen wurden. Eine Bilderflut von Begegnungen mit lächelnden Menschen, die sich gemeinsam zum Porträt stellten. Lächelnd. Gemeinsam.
Daraus wurde die erste Ausstellung. Die Bilderflut an den Wänden . Das Museum war in rosa Wolken getaucht; neben dem harten Schwarzweiß der Zeichnungen präsentierten die Künstlerinnen Skulpturen und vor allem sich selbst; Hannovers Bevölkerung wurde unversehens mit zwei so prominenten, schrillen  Zwillingen konfrontiert, dass manche überraschende Begegnung, manche auch härtere Konfrontation dabei schon auf den kurzen Wegen vom Hotel zum Museum geschah.
Aber EVA & ADELE sind harte Kämpferinnen; sie wissen sich zu präsentieren, können vielfach auch den auf sie zukommenden Aggressionen die Spitze nehmen und vieles einfach umkehren. Die braven Bürger unserer Stadt haben mit den beiden ihren Frieden gemacht, sie integriert in unsere kleine Großstadt, die schon Kurt Schwitters als eine besonders brave und unaufregende Stadt beschrieb. Sie nötigten den normalen Menschen schnell jenen Respekt ab, der entsteht, wenn man auf ein ernstes, großes Anliegen trifft. So wurde aus Befremden Verständnis, aus Ablehnung Nähe, aus Distanz Freundlichkeit und Freundschaft; erkämpft durch die nie versiegende Freundlichkeit und das Eingehen auf das Gegenüber, mit dem EVA & ADELE ihre Botschaften vermitteln. Auch vor der Kindergartengruppe unseres Sohnes standen sie ganz selbstverständlich und redeten mit den Kleinen über ihr Leben und ihre Ziele. Die Kinder stellten Fragen; die erste war:“Seid Ihr ein Liebespaar?“ Da kam ein großes JAAA  von EVA & ADELEs Lippen, einstimmig, die Kleinen klatschten, und die beiden Kunstengel lachten. So stellt sich einvernehmen her zwischen den Wesen, denen gemeinsam die Zukunft gehört.
Die großen Anliegen der beiden, allen voran das OVER THE BOUNDARIES OF GENDER; lebten sie selbst. Morgens, abends, mittags. Immer im Dienst, immer sie selbst. Das Spiel mit den Grenzen, auch das mit den Geschlechtergrenzen, war es, das viele ängstliche und furchtsame Menschen irritierte, aber zugleich faszinierte. Der männliche Anteil an Evas, der weibliche an Adeles Erscheinung, beide schienen manchmal  so deutlich; und dann, im nächsten Moment, wie im Spiel die Umkehrung der Rollen, die Umwertung und Egalisierung der Geschlechterrollen. Da wurde aus dem Spiel der Kunst dann plötzlich eine wahrhaftige Botschaft im richtigen Leben, wenn EVA & ADELE ihre statements im täglichen Leben auch ausserhalb von Museum und Galerie weitergaben. Da sie keine Künstlerinnen sind, die sich in der Garderobe auf ihren Auftritt vorbereiten und nach dem Auftritt wieder abschminken und umziehen, greifen sie in uneser aller tägliches Leben ein. Da liegt ihre Relevanz, ihr aufrührerisches und aufklärerisches Potential.
EVA & ADELE sind heute weiter eine direkte Antwort auf ein Missverständnis, das wir im Kunstbetrieb ständig erleben. Wir heben uns an die Kunst als Bühnenereignis mit symbolischer Handlungsebene gewöhnt. Kunst findet nicht im wirklichen Leben statt, viel eher hat das wirkliche Leben sich neben die Kunst gestellt und ihr einen Freiraum gelassen. Daß die Kunst übergreift ins Leben, dass sie uns ganz besetzen könnte, dass sie uns nachts ebenso präsent wäre wie tagsüber, ja das das ganze Leben die Kunst sein könnte, diese Idee scheint der Kunst heute vielfach verlorengegangen.
Aus diesem Dilemma sind EVA & ADELE ausgebrochen. Da sie aus der Zukunft kommen, können sie in anderen Richtungen träumen und anders handeln. Wir sahen sie in Berlin, London, Basel und Paris. Ihre Heiterkeit schätzend, haben wir sie am Rande wahrgenommen, in ihnen seltsame städtische Kunstwesen vermutet und sie an den Rand unsrer Wahrnehmung geschoben. Sie aber leben die Kunst, sie haben sie uns als sozialen Prozeß zurückgegeben; die wir sie heute in unsren Museen erleben, begreifen, wie weit ihr Konzept reicht, dass von allem Anfang an lautete WHEREVER WE ARE IS MUSEUM.
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