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TIME MACHINE

Interview mit EVA & ADELE von Nina Kirsch


Nina Kirsch:
Aufgrund eurer Medienpräsenz und Inszenierung könnte der Eindruck entstehen, dass das Auftreten als lebendes Kunstwerk in der (Kunst)Öffentlichkeit der Hauptteil von EVA & ADELEs künstlerischem Schaffen ist. Dennoch seid ihr auch Malerinnen und Zeichnerinnen und das malerische/zeichnerische Oeuvre ist als eigenständiger, wichtiger Teil zu sehen. Ist es möglich, dass die performative Arbeit die bildende Arbeit überlagert?

EVA & ADELE:
Die Medienpräsenz und die Verbreitung unseres Bildes ist ein konzeptuelles Werk wie auch unser Lächeln ein Werk ist.
Zugleich sind wir Fotokünstler, Maler, Videokünstler, Zeichner, Kommunikatoren, Kostümdesigner, Maskenbildner, Bildhauer, Performancekünstler. Alle diese Berufe münden im Gesamtkunstwerk und kreisen wie Satelliten um dasselbe Zentrum: EVA & ADELE. Wir begreifen die unterschiedlichen künstlerischen ƒußerungen, die unentwirrbar miteinander verbunden sind, als Ganzes, als Eins.
Natürlicherweise überlagert das Eine mal das Andere und die Facetten dessen sind so reichhaltig wie das Werk selbst. Es gibt Menschen, die uns noch nie persönlich erlebt haben, dafür jede konzeptuelle Zeichnung unseres ersten Museumskataloges CUM, Sprengelmuseum (1997) sehr genau kennen. Andere betrachten uns jahrelang am Rande und entdecken uns plötzlich im Gespräch ganz neu. Uns ermöglicht dieses selbstinszenierte Spiel, dass wir immer neue Türen öffnen und lernen können. Wir nutzen alle Medien und erfinden noch welche dazu, wie z.B. die Olympiade im Stöckelschuhegehen, ein Produkt einer veränderten künstlerischen Praxis, einer bisher noch nicht erfassten Denkweise.

NK:
Für die Ausstellung im Lentos gestaltet ihr zum ersten Mal eine großflächige Wand mit 208 Werken auf Papier, unterschiedlicher Technik, Größe und Entstehungsdaten. Lässt sich an der Wand eine Entwicklung des Oeuvres ablesen? Wie kam es zur Idee, all diese Blätter zu vereinen?

E&A:
Die Idee der 12 Meter langen Zeichnungsinstallation ist ein Zusammenschnitt, ein Film mit Schnitten durch Zeitebenen und Bildebenen, ein Roadmovie. Die meisten Blätter sind auf Reisen entstanden, über Jahre. Gerade auf Reisen ist für uns das Zeichnen der Rückzug aus der Öffentlichkeit und gleichzeitig die Möglichkeit, durch die äußere Fremde die innere Fremde zu erkunden.
Im Grunde handelt es sich um eine Performative Installation, die Aufzeichnungen im Sinne einer Simultanität von theatralischem Auftritt im Alltag und in Museumsinstitutionen sinnlich fühlbar macht.

NK:
Ihr verwendet den Begriff der Performativen Installation auf eine ganz neue Art und Weise. Während Ausstellungsobjekte anderer Künstler als Relikte von deren Performances gesehen werden können, sind eure Arbeiten also Zeugnisse des Rückzugs aus der Öffentlichkeit ins Atelier ein Vorgang, der Teil eurer Performance ist?

E&A:
Wir nehmen die in der Öffentlichkeit gemachten Erfahrungen mit ins Atelier, einer Art Labor, wo analysiert, seziert und zusammengefügt wird. Mit dem Begriff der Performativen Installation verweisen wir auf die Erweiterung des Begriffs Performance: Leben als Werk, Werk als Leben.
Eine klassische Performance hat einen Anfang und ein Ende. Sie wird angekündigt, meist institutionell oder vom Künstler dokumentiert, und das Material geht sofort in den Betrieb, in den Markt. EVA & ADELE hingegen sind EVA & ADELE, 24 Stunden jeden Tag - jeden Monat, jedes Jahr, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Atelier.

NK:
Die neusten Arbeiten kleinformatige Zeichnungen, die noch nie ausgestellt wurden werden in der Mitte der Installation, als Zentrum der Wand, präsentiert. Es sind Blätter, die anders als die früheren Werke nicht von eurem Abbild ausgehen. Wovon handeln die Blätter? Warum habt ihr diese neuen Sujets gewählt?

E&A:
Das Wahrnehmen, Fühlen und Denken, die künstlerische Autonomie, das individuelle Wirkungsuniversum äußert sich in den neuen Sujets. Die kleinformatigen Tintenzeichnungen umkreisen das Vanitasthema, erotische Darstellungen des menschlichen Körpers und Engeldarstellungen, eine Reise durch die Kunstgeschichte, sowie die Fetisch- und Pornokultur. Der Namenszug EVA & ADELE in Rosarot ist Konzept, Logo, Autorenschaft.

NK:
Das EVA & ADELE Logo, eure beiden zusammen geneigten Köpfe, deren Umrisse ein Herz formen, ist sowohl als Signatur auf vielen eurer Arbeiten zu finden, im Innenfutter eurer, für euch geschneiderten Kleidung, als auch auf eurem Camper, der euch auf Reisen begleitet. Wie kam es zu der Idee, ein Logo zu entwickeln vergleichbar mit einem in der Werbewelt üblichen Symbol für ein Produkt?

E&A:
Das Logo haben wir 1992 entwickelt, es ist als Symbol für unsere Entscheidung zu sehen, als Künstlerpaar zu leben und zu arbeiten. Ein Markenzeichen, das Schutz und Behauptung für ein neues geschlechtliches Selbstbewusstsein demonstriert. Mit dem Herzkopflogo ist die Selbstfiktion und Selbstdefinition von Geschlecht eingeführt. Im bildnerischen Werk ist das Logo immer der Verweis auf das Lebensgesamtkunstwerk EVA & ADELE.

NK:
Viele Blätter erklären sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick. Durch ihre kleinen Formate, die Kleinteiligkeit der Zeichnungen und die Verfremdung bestimmter Objekte wirken die Sujets wie geheime Botschaften. Sind sie als solche zu verstehen?

E&A:
Sie sind ein humorvolles Spiel, das Heimlichkeiten und Geheimnisse birgt, Widersprüche aufzeigt und damit das Spiel für ein komplexes Assoziationsfeld eröffnet.

NK:
Eine weitere Besonderheit an den neuen Zeichnungen sind die Bordüren aus Spitze. Eine Rahmung, die gleichzeitig etwas Verspieltes, Anrüchiges, Preziöses aus den Arbeiten macht.

E&A:
Bordüren sind wie Lingerie, sie verhüllen und verführen. Wir verfügen über ein Repertoire an Unterwäsche, zu jedem sichtbaren Performancekostüm gehört dieser versteckte Part.

NK:
Sexualität spielt in den Bildern von EVA & ADELE immer wieder eine Rolle, indem ihr Geschlechtsteile, v.a. männliche Phalli abbildet. Andererseits transportiert ihr als Kunstfiguren ohne bestimmtes Geschlecht auch etwas sehr Asexuelles. Wie lässt sich das vereinen?

E&A:
Men has the Phallus, Women is the Phallus (Jacques Lacan).
Die Erscheinung EVA & ADELE ist ein Manifest der Selbstinszenierung von Geschlecht. Die erste Wings-Performance zur documenta 9, 1992, bestand aus rosa Flügeln in fetischistischem Vinyl, schwarzen Nahtstrümpfen, Stöckelschuhen, zum Phallus geschorenen Köpfen, glamourösem Make Up. Bei diesem Auftritt haben wir die Selbstbezeichnung Hermaphrodit Twins in Art zum ersten Mal gesetzt. Eine asexuelle Wahrnehmung könnte auf Berührungsängste von Medien und Betrachtern zurückzuführen sein.

NK:
Das House of FUTURING ist Teil der Ausstellung im Lentos. Es handelt sich dabei um einen begehbaren Raum, dessen Wände aus Gemälden bestehen, die ihren Ursprung vor der gemeinsamen Zeit von EVA & ADELE haben. Kann es als Verarbeitung der Vergangenheit gesehen werden?

E&A:
Ja, in EVA & ADELEs Zeitmaschine fanden sich die 151 Leinwände, die das Haus bilden. Alle Leinwände haben wir nach unserer Begegnung malerisch überschichtet, in Fahrtrichtung, das Wort FUTURING auf jede gemalt und die Rückseite mit Augen und Mündern aus dem EVA & ADELE Logo bezeichnet. Mit diesem Akt der Transsubstantion ist die Biografische Skulptur Nr. 9, House of FUTURING entstanden.

NK:
Eure Leinwände sind von einer materiellen Mehrschichtigkeit geprägt. Unterschiedliche Ebenen, die sich in Form, Farbe, Technik und Material unterscheiden können, suggerieren neben der räumlichen auch eine inhaltliche Tiefe. Ist dies ein Produkt der mehrmaligen intendierten ‹berarbeitung oder entwickeln sich die Werke im unvorhergesehen Arbeitprozess?

E&A:
Der Hauptteil der im Lentos ausgestellten Leinwände gehört zu dem Werkblock Transformer-Performer, einer Zeitbatterie, die dem Prinzip des Palimpsests folgend, ein dichtes Geflecht von multiplen Zeit- und Bedeutungsebenen malerisch übereinander lagert.
Der in den Malereien verwobene Doppelkopf erweitert EVA & ADELE in den performativen Raum hinaus und wieder zurück auf die Bildebene. Dies kann es als Wechselprozeß von pull and push gesehen werden, im malerischen wie im performativen Sinn.

NK:
Aus der Zukunft zu kommen, ist einfacher, als aus der Vergangenheit, da kein Vergleich/Einordnung (in die Kunstgeschichte) möglich ist. Somit ist die Einzigartigkeit von EVA & ADELE garantiert. Steckt dahinter die Idee des FUTURING?

E&A:
Im Gegenteil. Es ist schwerer aus der Zukunft zu kommen, da die Gesellschaft referenzgläubig und referenzabhängig ist. Mit der künstlerischen Setzung Coming out of the Future haben wir uns auf das höchste Risikofeld begeben. Für uns bedeutet aus der Zukunft zu kommen, absolute Gegenwart zu leben.

NK:
Vor 100 Jahren war eine weibliche Kunstschaffende nicht gesellschaftlich anerkannt, 50 Jahre später nur das Anhängsel des männlichen Partners. Heute ist die Gesellschaft bereit für homosexuelle Künstlerpaare wie Gilbert & George oder Pierre & Gilles. EVA & ADELE als Duo zwei Künstlerinnen, die ihr wahres Geschlecht nicht Preis geben bzw. es nicht für wichtig halten, es öffentlich zu machen zählen ebenso zu den bekanntesten und erfolgreichsten Künstlerpaaren. Wie seht ihr diese Entwicklung? Kann es noch einen Schritt in der Entwicklung von Künstlerpaaren geben?

E&A:
Geschlecht ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das uns per Geburt als männlich und weiblich bezeichnen würde. Die Selbsterfindung des gleichgeschlechtlichen Paares EVA & ADELE, das wir in die gesellschaftliche Realität eingeführt haben, steht am Beginn des 21. Jahrhundert. Mit dieser Vision stehen wir am Anfang einer neuen Entwicklung von Künstlerpaaren und von Autorenschaft.

NK:
Einerseits ist heutzutage alles möglich, vor allem in der Kunst, andererseits stößt euer Auftreten manchmal auf Intoleranz. EVA & ADELE schaffen einerseits Distanz durch ihre Andersartigkeit, andererseits entsteht gleichzeitig der Eindruck, dass ihr als Kunstprodukt ständig zur Verfügung stehen. Wie seht ihr diese Diskrepanz?

E&A:
Als lebendiges Kunstwerk, das Tabus bricht, agieren wir im öffentlichen Raum ohne Schutz, ohne Handlungsanweisung und ohne Etikett. Die Verunsicherung kann beim Betrachter Aggression und Intoleranz hervorrufen. Anstrengend ist in diesen Fällen, die richtige Sprache zu finden, eine Kommunikationsebene aufzubauen, um Aggressionen zu vermeiden und vor allem, um einen Dialog in Gang zu setzen. In diesen Fällen ist keine Kamera da, die solche Krisensituationen dokumentiert. Der partizipatorische Prozess, als Teil des Werks, bringt uns häufig an die Grenze des eigenen Tuns. Gleichzeitig erfordert das Vereinnahmen des Publikums, welches die künstlerische Leistung der Performance EVA & ADELE konsumiert, eine präzise Regie von unserer Seite. Aus diesen selbstinszenierten Schauplätzen schöpfen wir Potenzial, Fundus und Material für unser bildnerisches Werk.

NK:
Mit dem Slogan Wherever we are is museum drückt ihr aus, dass es die historisch, traditionelle Institution des Museum nicht braucht um Kunst auszustellen/zu sehen.
Nun habt ihr mittlerweile selbst Ausstellungen in Museen. Geht das mit eurem Slogan/eurer Ausstellung noch konform?

E&A:
Das ist falsch. Es drückt nicht aus, dass es die traditionelle Institution Museum nicht braucht, sondern es ist eine Erweiterung des Museumsbegriffs. Wherever we are is Museum drückt das theatralische Einlassen außerhalb der Museumsinstitution aus, die Erfindung von Museum durch die Erscheinung EVA & ADELE, international. Das unerwartet Auftauchen an unterschiedlichen Orten: im Wald, im Flugzeug, an der Tankstelle, im Gebirge, am Meer.

NK:
In der Ausstellung im Lentos werden mit dem Goldenen Manifest blattvergoldete Tafeln mit den unterschiedlichen Slogans und dem Logo von EVA & ADELE gezeigt. Demnach seht ihr die gesammelten Slogans als Manifest an, dem durch die Farbe Gold eine besondere Wertigkeit verliehen wird. Das Manifest als Kunstwerk?

E&A:
Ja.

NK:
Warum verwendet ihr als Biografie die Angabe von Körpermaßen? Normalerweise sind diese Maße auf Set-Cards von Models zu lesen, also ein Indikator für den perfekten Körper. Sind Körpermaße das Wichtigste einer Frau? Kann man einen Menschen/eine Frau darauf reduzieren? Unterstützt ihr damit nicht die Oberflächlichkeit der heutigen Zeit?

E&A:
Hier geht es nicht um die Körpermaße einer Frau, sondern um die Vermessung einer lebenden Skulptur. Eine Haltung, die auf den Einsatz des eigenen Körpers im Werk verweist und die Positionierung in der Gegenwartskunst als andersartig und weitgreifend behauptet.


NK:
Jeder Künstler/jede Künstlerin hat seine/ihre speziellen Fähigkeiten. Bei einem Künstlerpaar treffen also verschiedene Neigungen und Talente aufeinander. Wie handhabt ihr eure Zusammenarbeit? Gibt es eine Arbeitsteilung?

E&A:
In unserer Zusammenarbeit veröffentlichen wir keine Zuordnung von Einzelleistung. Natürlich gibt es die Einzelleistung und vor allem die Einzelentscheidung. Insgesamt ein sehr komplexes, kompliziertes und differenziertes Zusammenspiel, das in das Werk von EVA & ADELE mündet.


NK:
Ihr sprecht vom Beginning after the end of art. Was ist für EVA & ADELE das Ende der Kunst?

E&A:
Der Beginn von FUTURING.

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