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House of Futuring - Arbeit am Identitätsgehäuse


Sabine Kampmann



EVA & ADELEs House of Futuring ist eine Arbeit über die Zeit, über Identität und über das, was wir werden können, wenn wir etwas werden wollen. Was EVA & ADELE werden wollten, steht uns seit mittlerweile fünfzehn Jahren vor Augen: ob live erlebt oder über die Medien vermittelt, wir kennen sie als zwei „Damen“ in extravaganten Kostümen und mit zauberhaftem Lächeln, die bei keinem der Großereignisse der Kunstszene zu fehlen scheinen. EVA & ADELE haben sich als Medienstars und Kunstszenefiguren wie auch als Privatpersonen selbst erschaffen und erfinden sich von Tag zu Tag neu. Dass wir sie jedoch stets als „Damen“ in Anführungsstrichen bezeichnen, dies hängt mit den gezielt eingesetzten Bruchstellen zusammen, die sie in ihr fast identisches, zwillingshaftes Erscheinungsbild eingebaut haben. Zwar erzeugen Kleidung, Schminke und Habitus zunächst ein fast übercodiertes Bild von Weiblichkeit, doch durch den Körperbau Evas und die kahlrasierten Köpfe wird dieses zugleich irritiert. Beide sind weder eindeutig als Mann noch als Frau zu identifizieren, sondern präsentieren sich als Doppelwesen mit nicht eindeutiger Geschlechtsidentität. Das ist es also, was sie werden wollten: Mann und Frau zugleich und abwechselnd. Damit fordern sie jedoch nicht nur die Kunstszene, sondern auch generell die Geschlechterordnung in unserer Gesellschaft heraus.

In unserer vom heterosexuellen Paradigma geprägten Welt ist die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten eng begrenzt. Man hat entweder Frau oder Mann zu sein oder kann seit neuestem auch öffentlich als homosexuell gelten. In diesem Denken bestimmt immer das biologische Geschlecht (Sex) das sozial geprägte Geschlecht (Gender) beziehungsweise die Geschlechtsidentität. Alles ist auf Eindeutigkeit angelegt und allenfalls Fehler im Sinne von Verwechslungen werden akzeptiert. Unter dem Schlagwort „im falschen Körper geboren“ kann ein Transsexueller lebenslang auf der Suche nach der „eigentlichen“ Geschlechtsidentität sein. Diese Illusion der „Eigentlichkeit“, die binäre Regulierung der Sexualität und damit Unterdrückung von Mannigfaltigkeit, wird durch die Existenz EVA & ADELEs massiv in Frage gestellt. Indem sie mit ihrem künstlerischen Konzept nämlich am eigenen Körper ansetzen,1 gelingt es ihnen, das Sex-Gender-System mit seiner letztlich immer auf biologisch-anatomische Tatsachen rekurrierenden Logik empfindlich zu stören. Sie scheinen genau das prototypisch zu verkörpern, was Judith Butler mit dem Begriff der „Performativität“ gefordert hat: durch wiederholte (künstlerische) Setzungen in der Gegenwart den zukünftigen Diskurs über Geschlechtsidentität zu verändern.2 Das besondere Potenzial, das Butler dabei in Praktiken der Travestie vermutet, scheint sich im Konzept EVA & ADELEs einzulösen: ihr besonderer Einsatz von Kleidung und Schminke macht Geschlechtsidentität als eine „imitierte“ sichtbar und zieht damit zugleich die Idee des heterosexuellen „Originals“ selbst in Zweifel.

Verbal spiegelt sich diese performative Praxis in EVA & ADELEs Begriff „Futuring“ wider. Als englisches Wort nicht existent, handelt es sich um die Erfindung einer Verlaufsform, die im Deutschen vielleicht mit „zukunften“ zu übersetzen wäre oder in der Ruhrgebietsvariante mit „dran am Zukunft machen“. Als Slogan seit vielen Jahren verwendet und auch auf den Leinwänden zu sehen, aus denen das House of Futuring gebaut ist, meint „Futuring“ eine Antizipation von Lebensformen und Geschlechtermodellen, wie sie in der Zukunft selbstverständlich geworden sein werden. „Futuring“ als künstlerisches Konzept und Lebenseinstellung spielt sich dabei ganz in der Gegenwart ab und meidet jegliche Historisierung oder persönliche Vergangenheit, weshalb sich die Biographie EVA & ADELEs auch auf die Angabe ihrer Körpermaße (Oberweite, Taille, Hüfte) reduziert. Stattdessen gibt es unter ihren materiellen Werken so genannte „Biographische Skulpturen“ – das House of Futuring ist die neunte in dieser Reihe –, in denen Spuren der Lebenszeit EVA & ADELEs zu entdecken sind. Denn die zum Hausbau verwendeten Leinwände stammen noch aus der Zeit „vor“ dem gemeinsamen Lebenskunstwerk EVA & ADELE und wurden von beiden Künstlerinnen getrennt bearbeitet. Die dicken Farbschichten, mit denen sie heute übermalt sind, scheinen nun – ähnlich wie die Schminke auf den Gesichtern des Paares – einen vermeintlich wahren und geheimnisvollen Kern zu verdecken. In ihnen speichert sich die verflossene Zeit und ist als Schichtung präsent.

EVA & ADELE kommen, wie sie selbst sagen, aus der Zukunft und bauen hier, in unserer Gegenwart, ein Haus – ist das nicht paradox? Es ist genauso paradox wie das gesamte Lebens- und Kunstkonzept des Künstlerduos, das mit Zeiten und Biographien spielt und sich dabei offenbar ganz hervorragend in der Gegenwart einrichtet. Der architektonische Aufbau des House of Futuring lässt zwei Haustypen assoziieren. Zum einen ist dies die naive Urform eines Hauses mit Spitzdach aus der Kinderzeichnung, das nur noch durch den gemalten Schornstein mit aufsteigendem Rauch zu vervollständigen wäre. Zum anderen wird über das Hausinnere der antike Tempel zitiert. Gleich einer Cella befindet sich hier ein fensterloser Raum, der vom Eingang nur durch einen Umgang erreicht werden kann. Während sich in der Cella der antiken Tempelarchitektur allerdings das Allerheiligste befindet, etwa ein Götterbild, vor dem Weiheopfer dargeboten werden, ist der Raum in EVA & ADELEs House of Futuring leer. Und zugleich ist er doch nicht leer. Denn von allen Seiten sind wir von den Augen der Künstlerinnen umgeben, die uns als gemalte von den Leinwänden her anblicken.

„Wherever we are is museum“ – eines der immer wiederkehrenden Statements EVA & ADELEs – entfaltet vor diesem Hintergrund seine Bedeutungsfacetten: „museum“ meint dabei vor allem das „museion“ der griechischen Antike, einen den Musen geweihten Tempelbezirk. Und diese Musen, speziell die der Bildenden Kunst gewidmeten Göttinnen, werden von EVA & ADELE in ihrem Lebenskunstkonzept gewissermaßen selbst verkörpert. Sie schaffen also „museum“ einerseits als gedanklichen Handlungsraum für die schönen Künste und lassen diese Idee im Museum für zeitgenössische Kunst durch das Motiv des Hauses im Haus wieder räumlich werden und erinnern so an seine Ursprünge. Mit der Installation für das Sprengel Museum haben EVA & ADELE einen Tempel „für sich“ und „aus sich selbst heraus“ geschaffen. Gleichzeitig zitieren sie aber auch das Haus als ein Sehnsuchtsmotiv, als eine Sehnsucht danach, zur Ruhe zu kommen, heimzukehren und nach Geborgenheit. Das House of Futuring ist eine objektgewordene Metapher des eigenen Identitätsgehäuses, das die Künstlerinnen für sich selbst erfunden haben, in dem sie sich einrichten und an dem sie fortwährend arbeiten.


1 In diesem Sinne verkörpern sie jenen von Donna Haraway beschriebenen „materiell-semiotischen Akteur“, dem es gelingt, sex und gender prozessual gleichzeitig entstehen zu lassen und so gegenseitig aufzuheben. Donna Haraway: Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In: dies.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hg. v. Carmen Hammer/Immanuel Stieß. Frankfurt a. M./New York 1995, S. 96.

2 vgl. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M. 1991, S. 200ff.

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