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ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT FUTURING AUS DEM GEISTE DER ROMANTIK

Jan-Philipp Fruehsorge

Lange galt für die Kunst von EVA & ADELE, dass zwischen den beiden Produzentinnen und ihren Werken eine mimetische Entsprechung existiert, dass sich die unverkennbare, allseits bekannte Erscheinung des ubiquitär operierenden Paares stets auch in den Abbildern zu spiegeln habe. Sie selber als Werk aber auch kein Werk ohne sie selbst darin. Seit der frühen Videoarbeit „Hellas“ (1989), dem filmischen Dokument ihrer künstlerischen Selbstwerdung, kreist das bildnerische Universum von EVA & ADELE um die Figuren EVA & ADELE, in dem es stets neue „Self-Images“ generiert. Polaroids und andere fotografische Bilder dienten ihnen als Vorlage für Zeichnungen und Malerei. Auch wenn die Wahrnehmung des Publikums in erster Linie eher auf den öffentlichen Performances und den Fotos lag und später dann auf der daraus entstandenen Malerei, gezeichnet wurde im Hause EVA & ADELE schon immer. Fragt man das Paar, welche Rolle speziell dieses Medium für sie spielt, erhält man zur Antwort, dass hier einer der wesentlichen Punkte ihrer künstlerischen Existenz und Produktion berührt wird: Zeichnung, das ist für sie das Gravitationszentrum, der Ort der Selbstvergewisserung, der Infragestellung, des Experiments. Zeichnung ist der visuelle Brandbeschleuniger aber auch Verlangsamungsmedium, Kontemplationsquelle und Ruhepol, an dem sie zu sich kommen können. Hier formuliert sich eine Idee, klärt sich ein formales Problem und schließt sich der Kreis, der mit den Auftritten in der Öffentlichkeit begann. Neben all diesen Funktionen hat die Zeichnung im Fall von EVA & ADELE noch einen weiteren Aspekt: Sie ist gewissermaßen auch ein unverzichtbares Planungsinstrument des Alltags, indem sie die kleidungstechnischen Rahmenbedingungen der Performances zu organisieren hilft. Die minutiös ausgearbeiteten Kostümpläne in Graphit und rotem Farbstift mit detaillierten Hinweisen auf Kleider, Unterwäsche, Schmuck und Accessoires lesen sich fast als Partitur jedes ihrer Auftritte und sind neben den Fotos auch gleichermaßen Dokumentation und Archiv eben dieser Auftritte. Sie haben eine Bildhauerzeichnungen vergleichbare Funktion und in einigen Beispiele auch diese Qualität. Die Zeichnungen protokollieren einen Weg, bilden ein künstlerisches Itinerar, sind ständiger Reisebegleiter. „Gerade auf Reisen ist das Zeichnen für uns der Rückzug aus der Öffentlichkeit und gleichzeitig die Möglichkeit, durch die äußere Fremde die innere Fremde zu erkunden.“1 An anderer Stelle heißt es: „Wir zeichnen, um uns zu sichern, auch um uns zu orten und um Heimat in der Fremde zu bilden.“2

Bereits die Ausstellungen im Sprengel Museum 1997 und im schwedischen Aquarellmuseum 2003 zelebrierten ausgiebig die zu Papier gebrachten Selbstbildnisse. Und auch die Präsentationen im Salzburger Museum der Moderne und im Lentos Kunstmuseum Linz im Jahr 2008 knüpften hier an – und doch war etwas anders als zuvor. Die „Performative Installation 208“ auf 12 Meter Wandlänge vereinte die bekannten Autoporträts mit Arbeiten, die auf das eigene Konterfei verzichteten: 208 kleinformatige mit Spitzenbordüren umrahmte Zeichnungen umkreisten Vanitassymbolik, Kunstgeschichte, Fetischund Pornokultur.3 Das bunte Treiben hatte etwas von einem „Danse Macabre“, das volle Leben in Extravaganz und Ausschweifung trifft auf eine Armee von Totenschädeln, deren „Memento Mori“ allerdings nicht wirklich ernst zu nehmen war, zu skurril, verspielt und komplizenhaft schauten sie aus der Spitzenwäsche.

Einige der nun im Marta Herford versammelten Blätter, und wir sprechen hier im besonderen von den Zeichnungsserien „Nebelglanz“ und „Kaktusblüte“, scheinen zu neuen Ufern aufzubrechen und doch an motivischen Resten zu kratzen, die möglicherweise aus der Frühzeit der gemeinsamen Arbeit stammen und sich im Sediment der Erinnerung abgelagert haben.

Bei aller Opulenz und schrill-heftiger Farbenfreude (pink!), die in der Regel vorherrscht, sind diese neuen Zeichnungen und Collagen ein verblüffender Akt bildnerischer Askese. Der Verzicht auf das eigene Imago, die bewährte Beschwörungsformel Doppelantlitz erstaunt und ist in dieser Hinsicht ein kühnes Manöver, da EVA & ADELE sich nun von konzeptionellen Performern, die zwar schon immer auch Bilder und Objekte produziert haben, wenngleich auch stets mit Bezug zur eigenen Ikonischen „Marke“, zu scheinbar konventionellen Produzenten transformieren, sich selbst den sicheren Boden etablierter Ikonographie unter den Füssen wegziehen und plötzlich ganz einfach „nur“ Kunst machen wie andere auch. Wie andere auch? Haben sie in den Selbstbildnissen nach Fotografien verschiedene Haltungen und Stile ausprobiert und angenommen,4 haben mutig und eigenhändig die Grube zum Kitsch und Trash ausgehoben um erhobenen Doppelhauptes hineinzuspringen, fungierte das schablonenhafte Doppelselbst auch als Schutzschild, als konzeptionelles Teflon, an dem Kritik auch abzuperlen verdammt war. In den Zeichnungen ohne fotografische Vorlage zeigen sie sich nun fast nackt und bloß und sehr verletzbar.

Die Abwesenheit des bekannten Zwillingslogos in diesen Zeichnungen verhilft einer anderen, in den Performances nicht ausgelebten, expressiven Geste ans Tageslicht. Mit ungebremstem Furor wirken manche Blätter exekutiert. In Graphit auf Bütten. Der Zyklus „Kaktusblüte“ entstand auf der französischen Ile de Ré, auf Usedom und in Berlin. Erotische Flora, botanischer Sex: Vieles sieht aus nach einer Melange aus Mensch und Pflanze, wie eine Ovid-Illustration, der man das Drama der Verwandlung ausgetrieben und durch bizarren Humor ersetzt hat. Nicht umsonst sind Kaktusblüten zwittrig. Stachel, Blüten, Haare, Schlingen, Münder, Augen. Natur als Spiegel der Seele und des Unterleibs. Es keimt und sprießt, umschließt, steht klaffend offen und penetriert. Und auch die Totenschädel, diesmal ohne Spitzenbordüren, tauchen wieder auf.

Die Blätter der Serie „Kaktusblüte“ teilen eine erotischgrotesk-morbide Bildwelt, die humorvoll abgefedert, zweifelsfrei auch als versteckte (?) Selbstporträts gesehen werden dürfen. Interessant dabei ist, dass das Kaktusmotiv auf kunsthistorische Vorbilder verweist und zu einer

Schlüsselfigur nachtschwarzer Romantik und protosurrealistischer Vision führt: Odilon Redon. Sein „Kaktusmann“ auf einer Kohlezeichnung von 1881 ist ein melancholisch dreinschauender Schmerzensmann, der die Dornen auch als Krone trägt. Derlei christliches Pathos passt nicht so recht in EVA & ADELEs frohe Botschaft: „Das Lächeln als Werk des FUTURING soll ein Raum sein, der nicht von der traditionellen christlichen Leidensgeschichte besetzt ist“, heißt es kürzlich in einem Interview.5 Und doch bei aller zur Schau getragenen Fröhlichkeit gibt es immer auch leise Molltöne und eine komplexe emotionale Architektur, die das Projekt EVA & ADELE trägt.

In den „Kaktusblüte“ Blättern taucht ein Wort auf, das seinerseits Titel einer eigenen Bildfolge geworden ist: „Nebelglanz“. Die Blätter dieser Serie sind, wie die „Kaktusblüte“-Zeichnungen, an verschiedenen Orten und über einen gewissen Zeitraum entstanden. Das dunkel glänzende Graphit wird umspielt von Feldern und Flächen aus zerknülltem Silberpapier. Teils zerbrochener Spiegel, teils reliefartige Formgebilde, die aus den Arbeiten weniger Collagen als skulptural-zeichnerische Dialoge machen. Fundstücke aus der Kostümabfallkiste in farbigem Leder ergänzen das Materialspiel. Es gibt Anklänge an Figuratives, reduzierter als in den „Kaktusblüte“-Blättern. Formal beruhigt und in einigen Blättern fast klassisch-konstruktiv.

Jenseits aller Gender-Debatten und selbstreferentiellen Diskurse führt die Vokabel „Nebelglanz“ noch weiter zurück als bis zu Redon. Das Wort, für das sich Jorge Luis Borges begeistern konnte, weil es ein wunderbar typisch deutsches Kompositum ist, entstammt dem berühmten Goethe-Gedicht „An den Mond“ (Spätere Fassung von 1789):


Füllest wieder Busch und Tal Still mit Nebelglanz, Lösest endlich auch einmal Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild Lindernd deinen Blick, Wie des Freundes Auge mild Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz Froh und trüber Zeit, Wandle zwischen Freud’ und Schmerz In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß! Nimmer werd’ ich froh; So verrauschte Scherz und Kuß, Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal, Was so köstlich ist! Daß man doch zu seiner Qual Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang, Ohne Rast und Ruh, Rausche, flüstre meinem Sang Melodien zu,

Wenn du in der Winternacht Wütend überschwillst, Oder um die Frühlingspracht Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt, Einen Freund am Busen hält Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt Oder nicht bedacht, Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht.6


In diesen Zeilen verschmelzen emphatische Naturbetrachtung mit einer tief empfundenen Freundschaftsode. Möglicherweise liegt hier der romantische Urgrund, an dem EVA & ADELEs Zukunftsprojekt sich ideengeschichtlich entzündet hat. In der Beschreibung romantischen Gedankenguts durch die Jahrhunderte hin finden sich Elemente und Motive wieder, die man ohne große Anstrengungen in Bezug zur künstlerischen Praxis des Paares setzen kann: Aus dem romantischen Bewusstsein spricht die Sehnsucht nach der Wiederherstellung einer verlorenen Einheit, die Erinnerung an Harmonie und einen ehemaligen Glückszustand.7 Wie die imaginierte ideale Vergangenheit, das „verlorene Paradies“, so stellt sich auch die Fiktion einer Zukunft dar als Sphäre, in der Trennendes überwunden scheint. Das utopische Doppelselbst wird zum Sehnsuchtsbild eines Lebensund Liebesideals. EVA & ADELEs Konzept des FUTURING scheint somit anschlussfähig an die Ideale der Romantiker, deren „Suchbewegung der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen“, einen Triumph über das Realitätsprinzip.8

Wie Paolo Bianchi schrieb: „In diesem Sinne ist die Kunstfigur EVA & ADELE weniger ein postmodernes Schizosubjekt als vielmehr eine romantische Doppelgängerfigur“.9 In EVA & ADELEs Selbstfiktion und Selbstdefinition10 heißt das: eine Kunst und Leben transzendierende Seeleneinheit aus zwei Körpern, die jegliche Gender-Grenzen und Rollendeterminiertheiten unterwandern und überwinden. Das logohafte Doppelbildnis in Herzform, Wange an Wange, figuriert dabei als fernes Echo auf einen Bildtypus, der einerseits der Darstellungstradition von „Nächstenliebe und Gerechtigkeit“11 folgt, aber auch Overbecks Bild „Italia und Germania“ (auch Freundschaft) zitiert, eine Ikone der romantischen Malerei.12

Als hochprofessionelle Protagonisten des Kunstbetriebs operieren EVA & ADELE zwar mit größter Konsequenz, dabei immer aber auch durchaus pragmatisch und flexibel. Bei aller Treue zu sich selbst, lassen sie sich nicht festlegen auf eine auf Permanenz angelegte Ästhetik oder Geste. Ebenso wie sie ein „romantisches Projekt“ verfolgen, verfolgen sie selbstverständlich auch ein „PopProjekt“. In diesem Modus der Dualität entfaltet sich erst der Rahmen, in dem Performance, Mediaplastic und auch das intime Rückzugsund Reflexionsmedium Zeichnung in Relation zueinander produktiv werden können. Ebenfalls von Goethe (!) stammt die Wortprägung „Doppelleben“ – ursprünglich gemünzt auf den Maler Mantegna, in dessen Werken er die unauflösbare Dichotomie von Antike und Natur, Ideal und Wirklichkeit, verkörpert sah. Im Bezug auf ihre Aquarellmalerei bemerkte Andreas Schalhorn, dass sich EVA & ADELE im Spannungsfeld von Wahrheit und Theatralität befinden, zwischen Rollenspiel und Authentizität.13 Sie führen ein oder sogar mehrere Doppelleben, wobei sich die unterschiedlichen Diskurse, sei es Gender, Romantik, Pop, Natur, Kunst, verschränken und wiederum neue Fragen generieren. Und in diesen Prozessen ist die Zeichnung immer das Navigationssystem, das die richtigen Umwege findet, und seien sie noch so unbequem.


1 Zeitmaschine. Interview mit Nina Kirsch. In: Rosa Rot. Katalog, Museum der Moderne, Salzburg; Lentos Kunstmuseum, Linz, 2008, S. 94.
2 Ihr macht FUTURING. EVA & ADELE im Gespräch mit Meinrad Maria Grewenig. In: FUTURING. Katalog, Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur, Völklingen, 2012, S. 21.
3 Rosa Rot. 2008, S. 95.
4 Andreas Schalhorn: Einheit in der Vielfalt – Selbstbildnis und Aquarellmalerei bei EVA & ADELE. In: Day by Day Painting. Katalog, Nordiska Akvarellmuseet, Skärhamn, 2003, S. 30.
5 FUTURING. 2012, S. 22.
6 Erich Trunz (Hrsg.): Goethe. Gedichte. München, 1981, S. 129f.
7 Peter Klaus Schuster: In Search of Paradise Lost. Runge, Marc, Beuys. In: The Romantic Spirit in German Art 1790-1990. Katalog, Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh; Hayward Gallery, London, 1994, S. 62.
8 Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. München, 2007, S. 13.
9 Paolo Bianchi: Kunst als Erfindung des Lebens. In: CUM. Katalog, Sprengel Museum, Hannover, 1997, S. 24.
10 Rosa Rot. 2008, S. 94.
11 Beispielsweise Rosalba Carriera, 18. Jhd., Abb. in: Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution. Katalog, Hamburger Kunsthalle, 1986, S. 257.
12 Vgl. Overbecks „Sulamith und Maria“ von 1811/12, Abb. in: Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution. Katalog, Hamburger Kunsthalle, 1986, S. 362.
13 Vgl. Anm. 4.

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