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PARALLELWELTEN: EVA & ADELE ZEICHNEN Es geht um eine, warum nicht: ZEREMONIALE SPIELART der KONZEPTKUNST. Die Fotos, die Passanten und Neugierige von ihnen machen, werden gesammelt, genau archiviert und manifestieren so „die Verbreitung des Bildes“ als Werk.4 Die Rezipienten spielen mit, sie dürfen eigentlich nur fotografieren, wenn sie bereit sind, die Bilder an die beiden Verursacherinnen zu senden; Betrachter werden zu Vertragspartnern, zu Mitarbeitern, ja in gewisser Weise sogar zu Co-Performern. Im weitergehenden Verarbeitungsprozess lösen sich die Künstlerinnen vielleicht von den Vorlagen, doch niemals vom Motiv. Der Strudel des Vervielfältigungssogs reiht die Motive, hunderte von Polaroids machen gleicher, was ohnehin schon gleich und doch jedes Mal anders ist. Der Stempel mit dem Herzkopflogo ist ein noch schnellerer Multiplikator und gleichzeitig eine Art Echtheitssiegel, in diversen Modifizierungen kann er helfen zu ordnen und zu inventarisieren. Nicht erst bei dieser Gelegenheit fällt auf, dass EVA & ADELE die selbst verursachte Bilderflut souverän regulieren. Sie erweisen sich als echte Organisationstalente, ihre Unermüdlichkeit ernährt sich vom obsessiven Willen zum eigenen exterritorialen Erscheinungsbild. Genau definierte Serienmerkmale sortieren ihre globalen Perspektiven. Die Mär, dass es sich um Autodidakten handelt, kann durch einen gelassenen Blick auf die Arbeit selbst schnell widerlegt werden, auch wenn die Künstlerinnen nicht preisgeben wollen, wo sie das gelernt haben. Ihre Zahlengraphik ist eine künstlerische Setzung. EVA & ADELE handeln mit ausgesprochen reflektierten Strategien. „Wir nehmen die in der Öffentlichkeit gesammelten Erfahrungen mit ins Atelier“, sagen sie zu Nina Kirsch: „Das Atelier ist eine Art Labor, wo analysiert, seziert und zusammengefügt wird.“5 Hochprofessionell und bildermächtig destillieren sie Umrisszeichnungen aus dem bei ihnen gestrandeten bzw. bestellten Material, sie vereinfachen oder kolorieren, dabei tasten sie sich mit Absicht bis ins Selbstironische vor. Die Gefahr, dass man sie bei dieser Gelegenheit als Karikaturen abtut, ist gefährlich nahe und sorgt für weitere Irritationen. Aus der Perspektive der Macherinnen erscheint das wie ein Spiel mit dem Feuer, schließlich ist alles, was sie unternehmen, auf seine Weise todernst! 208 mehr oder weniger kleinformatige Mischtechnik-Arbeiten auf etwa 12 Metern Länge umfasste die „Performative Installation 208“ für das Lentos Kunstmuseum in Linz 2008. Konsumgeile Verführungskunst, Überforderung der Wahrnehmung und Überwältigung durch Fülle halten sich die Waage in diesem Ornament der Masse. Im piktoralen Fluss der großformatigen Collage ist alles möglich, zuweilen schleicht sich ein Blatt aus grauer Vorzeit ein. Mischtechnik ist angesagt, EVA & ADELE spielen auf allen Kanälen, gelegentlich machen desaströse Miniaturen seltsame Andeutungen im unübersichtlichen HORROR VACUI der „Performativen Installation 208“.6 Letztlich schützt die übermächtige Bilderflut vor den Einzelheiten. In den großformatigen Ölmalereien aber von „Transformer Performer“ kommt es zu irritierenden, farbschweren Überblendungen, die nicht zu übersehen sind. Die Obsessiv-Unzertrennlichen werden immer mal wieder auseinandergerissen, Alpträume, erotisch düstere Phantasmen deuten sich in expressiven Gesten an, Totenköpfe in allen Spielarten blecken die Zähne. Sollte es Schattenseiten in der ewig lächelnden Entäußerung geben? Möglicherweise meldet sich das selbst auferlegte Fatum der permanenten Performance mit altehrwürdigen Vanitassymbolen zu Wort. So gesehen, erzählen auch die sorgfältig ausgearbeiteten „Kostümpläne“ die sie 2012 im MOCAK erstmals in aller Ausführlichkeit zeigten, von einem aktionistischen Gefängnis. Das Konzept gestattet kein Entrinnen. Gerne zitieren sie bei dieser Gelegenheit Hölderlin: „Im Kunstwerk das Leben und im Leben die Kunst lernen“.7 „FUTURING“, die selbst erfundene Vokabel für die möglich-unmögliche Existenz von EVA & ADELE, könnte auch Terminus Technikus für einen Tanz auf dem Vulkan sein, für das Balancieren am Abgrund. Die Entdeckung meint keinen Paradigmenwechsel, sie ergibt sich einfach beim näheren Hinsehen. Eine aktionistische Dauerfröhlichkeit hat es hier nie gegeben. Die Komödie steht mit einem Bein in der Tragödie. Zur schönen Schauseite gibt es Parallelwelten; die sind unerlässlicher Teil des Ganzen und waren von Anfang an mit dabei. Wenn EVA & ADELE zeichnen, spazieren sie überdeutlich am Abgrund. Die Natur der Sache scheint das zu erzwingen. Zeichnung ist einerseits Wegwerfmedium des Alltags, andererseits geht es ums Entwerfen und Planen, um eine sozusagen utopisch-visionäre Ausrichtung. Die Grenzen zwischen den Rändern und den Zentren dieser Kunst sind fließend. Vielleicht sind gerade deshalb Zeichnungen eine Art seismografisches Wahrnehmungsorgan in der Dokumentationsmaschinerie der Unermüdlichen. Analog zur „Performativen Installation 208“ sprechen die Künstlerinnen jedenfalls von „Performativer Zeichnung“.8 Die unendliche Aktion, die alle Bilder gebiert, formuliert sich auf dem kürzesten Weg. Aus solcher Unmittelbarkeit lässt sich gleichzeitig ein konzeptueller Grundzug im System (pardon) EVA & ADELE herausfiltern. Aktion oder Performance meinen weniger das tagtägliche Theater (das natürlich auch), sondern zuallererst BEWEGUNG und die beginnt schon beim Ankleiden. Das energetische Moment der Bewegung speist die Produktion fast schon in einem Beuys’schen Sinne, um dann in einem piktoralen Augenblick, in einer Pose, in einer Fotografie oder einer Zeichnung gleichsam zu erkalten. Der metaphorische Titel der Ausstellung darf in diesem Sinne gedeutet werden: OBSIDIAN, und das ist ein „glasiges Gestein, das beim Erstarren vulkanischer Auswürfe entsteht.“9 Doch zuvor gehen sie (auf hohen Absätzen) im Kreis, sie flanieren; nur neugierige Fragen, ein Foto oder ein Small Talk können sie kurzfristig anhalten. Die Bewegung weitet ihren Radius, sie reisen nicht nur zu den glamourösen Vernissagen des angesagten Kunstgeschehens oder zu ihren eigenen Ausstellungen, sie reisen, um in Bewegung zu sein nach New York, nach Venedig genauso wie nach Usedom. Und immer machen sie ihre tagtäglichen Gänge oder sie bewegen sich mit dem eigenen Wohnmobil von einem Ort zum anderen. Paolo Bianchi spricht in diesem Zusammenhang von der „Grand Tour oder der Ästhetik des Unterwegsseins“.10 Sie selbst sprechen von Ihrem „Laufprogramm“, das sich durch „Gehen, Gehen, Gehen“ realisiert.11 ACT: Die Bewegung, die Performance an sich, mutet jetzt an wie eine spirituelle Übung. Die glatt rasierten Köpfe erscheinen mit einem Mal wie Zitate aus Fernost: Buddha goes Pop. Dem Bann des nimmermüden Bewegungsimpulses folgt im weiteren Geschehen wie eine selbstverständliche Reaktion die (Auf-)ZEICHNUNG. Das Wohnmobil wird unterwegs zu ihrem Atelier. Zeichnung war schon immer die unentbehrliche Form der Niederschrift für diejenigen, die auf Reisen sind. Trotz Vorbereitung der Betrachter beim Blick auf die großen Collagen, trotz der vielgestaltigen Ölmalerei mit ihren Untiefen verblüfft die Unmittelbarkeit, ja der expressive Ausdruck dieser Blätter, die bis jetzt nicht so im Fokus der Rezeption standen. Das „Roadmovie“, mit dem sie die 12 Meter im Lentos Kunstmuseum meinen,12 stellt gleichsam auf Einzelbildschaltung um, obwohl auch hier Serien zu sehen sind. Es gibt ganz viele Details, in denen sich EVA & ADELE verraten, doch das IMMER NUR LÄCHELN verschwindet in den somnambulen Notaten vorerst auf der Rückseite des Mondes. Auch in den farbigen Arbeiten regiert ein Furor, der mit den verwandten Werkzeugen angemessen herausgelassen und gleichzeitig in den klassischen Grenzen des Mediums realisiert wird, doch am radikalsten erscheinen die Arbeiten mit Graphit. Es ist schon erstaunlich wie hart ein weicher Bleistift (HB) sein kann. Die Tugenden der Gattung kommen unverstellt zum Vorschein, satte und leichte Striche, konträre Gesten, extreme Materialisierungen und Einzelgänger dialogisieren im Weiß der Bildbühne. Der Gegenstand fällt zum Teil, der ikonografische Topos EVA & ADELE zieht sich erstaunlich oft aus dem Zentrum der Darstellung heraus. In einigen Blättern von „Tides“ (2012) wird das zart aquarellierte und bis UNENDLICH variierte Logo ihrer Zweisamkeit von dornenkronenartigen Girlanden überwuchert. Die Zeichnung bewegt sich auf einem vorstrukturierten Grund, die linearen Fluten steigen, der gefräßige, neue Horizont steht teilweise schon bis zum Hals. Wie imaginierte Hilferufe wirken dann diese Blätter. „Kaktusblüten“ wuchern überall, in Berlin (2011) und auf der Ile de Ré (2009), aber am gefährlichsten 2010 ausgerechnet auf Usedom. Häuser, Seelenlandschaften, Abstraktes, Mitternächtliches und Surreales tauchen auf. Fadendünne Träume werden von heftigen Verdichtungen aufgefangen. Was kommt von Eva, was von Adele? Ihre Arbeiten erscheinen wie aus einem Guss, doch die unbelehrbaren Betrachter schauen gelegentlich nach Spuren dieser Doppelexistenz, sie suchen in Kontraststrukturen oder in dialogischen Momenten nach Indizien einer funktionalen Zweisamkeit. Dazu gibt es keine Auskunft, die beiden lächeln wissend. Verlässliche Konstante ist die Signatur; was auch passiert, sie lautet immer: EVA & ADELE. Unübersehbares Merkmal ist das solide, ja kostbare Material, edle Papiere zum Beispiel. Manchmal findet sich neben der eigentlichen Zeichnung auch eine Spur von Nagellack. Denn ihre ganz besondere Arbeitskleidung ist ja der unverzichtbare, zeremoniale Ornat. Repräsentieren, Zeichnen, Bewegen = Performance. Nicht immer bewegen sich EVA & ADELE auf dem geschützten Terrain der Kunst. Es gibt Widerstände, die beiden beißen die Zähne zusammen. Ein Fototermin in Kreuzberg, die Konfrontation mit dem bodenständigen Proletariat kann bedrohliche Züge annehmen, manchmal fliegen Steine oder das fahrbare Nest, der rosafarbene Peugot Boxer wird von Andersdenkenden umstellt oder gar durchgerüttelt.13 Konfrontation, mit wem auch immer, also nicht nur mit den Gutwilligen, ist aber ein Arbeitsprinzip, ja der Treibriemen der Bildgewinnung. Die Seismographen reagieren entsprechend. Dafür stehen im Atelier an allen Ecken und Enden die gespitzten Stifte bereit. Fast in einem romantischen Sinne formatiert die Konfrontation von Kunst und Welt ihre Sprache, das Gesamtkunstwerk der beiden Protagonistinnen bedarf des Alltäglichen, um seine etwas anderen Bildverbindungen auszuschwitzen. Hinter der Serie „TSG 1“ (2009) verbirgt sich eine Geschichte der besonderen Art. Es geht um das „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (kurz: Transsexuellengesetz, TSG)“; im liberalen Deutschland ist das auch möglich, ohne eine entsprechende Operation. Entscheidend sind zwei psychiatrische Gutachten, die ein Richter anerkennen muss, um das gewünschte Resultat dann in das Geburtenregister eintragen zu können. 2009 unterzog sich Eva in sensationell kurzer Zeit erfolgreich dem kräftezehrenden Prozedere. Abends nach den therapeutischen Sitzungen heißt es: ZEICHNEN! Die bürokratisch-analytische Pflichtübung, der sich der Kandidat unterzieht, reißt eingeübte Identitäten vorläufig auf. Doppelgesichter erzählen, vier Augenpaare suchen ein Gesicht, eine Maske bietet sich an, männlich überschreibt weiblich und umgekehrt. Das Selbstbildnis taumelt andeutungsweise durchs Format oder formuliert sich als Guernica-Fratze. Wer ist Eva? Wo sind EVA & ADELE? Die Kinder der Zukunft sind fast nicht mehr zu erkennen, die unmittelbare Konfrontation mit der schweren Prüfung zwingt die treibende Obsession auf eine neue Stufe, die Niederlegung als Zeichnung hat sich partiell verselbstständigt. Die schöne Außenseite ist ganz weit weg, doch die existentielle Innenschau ernährt letztlich den großen Rest. Manchmal, wenn die Zeichnungen sich zu weit vom Common Sense der immerwährenden Aktion entfernen, werden sie durch die Präsentation wieder eingefangen. Wie die Serie „Tides“ arbeitet „Zeitmaschine“ (2012) mit gnadenlosen Überzeichnungen der leuchtenden Variationen des Herzkopflogos. Doch diesmal werden die Dekonstruktionen durch Rahmenfundstücke gleichsam angehoben, die Pracht der neu vergoldeten Rahmen bändigt das emotionale Feuer, nicht nur in dieser Serie. Die Rahmen sind mit Bedacht gewählt für „Zeitmaschine“ neobarocke Prachtstücke, für „Spiegelgespiegelt“ (2011) mit ihren abstrakt-erotischen Mutanten eher sachliche, glatte Leisten in Altsilber. Die Hilferufe erreichen die Betrachter sozusagen als Arien. Ohne die Verortung im aktionistischen Rumpf des allgegenwärtigen FUTURING wären diese Ausreißer nicht möglich, und: Die Aktionistinnen sind erfahrene Ausstellungsmacherinnen, ja in gewisser Weise Präsentationsgenies; das machen sie schließlich Tag und Nacht. EVA & ADELE sammeln nicht nur schöne, nostalgische Rahmen, sondern auch Batisttaschentücher. Kostbar wie die guten Papiere, die sie sonst benutzen, bilden sie eine Bühne für eine Mischform aus Malerei und Zeichnung. Der doppeldeutige Serientitel „Wanted“ (2012) ist genauso wie die Signatur eingestickt und haftet den Tüchlein an wie ein Brandzeichen. Farbintensive Gesichter leuchten heraus, die Kunstgeschichte wirft in Form eines Nachhalls von Expressionismus und Neuer Sachlichkeit ihre Schatten auf diese Phantombilder, die in Bezug auf die permanente Performance ein innovativer Part des Konzepts sind. Der schön gehäkelte Rahmen und Verzierungen sind integrativer Bestandteil eines vorstrukturierten Grundes. EVA & ADELE produzieren Bilder, manchmal auch solche wie diese, unentwegt in parallelen Formationen. Und die bleiben greifbar, selbst wenn die Tür ins Schloss gefallen ist. 1 Abb. in: EVA & ADELE. Katalog, MOCAK. Museum of Contemporary Art, Kraków, 2012, S. 104ff. |
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